Genug


Authors
Shahar
Published
1 year, 5 months ago
Stats
262

Theme Lighter Light Dark Darker Reset
Text Serif Sans Serif Reset
Text Size Reset

Rowan betrachtete Dorian aus undurchdringlichen blauen Seen. Ein Seufzen, voll Anstrengung und Faszination, bahnte sich an, doch kein Laut verließ seine zusammengekniffenen Lippen.
Er wollte sich abwenden, aber es gelang ihm nicht.
Dorian balancierte lächelnd am Abgrund. Er war auf der Suche nach der Gefahr und sie würde ihn finden. Jeder Windstoß konnte seinen Fall bedeuten; den langen, langen Fall in die Tiefe. Und Rowan wusste, dass Dorian nur darauf wartete.
Rowan wollte den Blick senken, aber es gelang ihm nicht. Wie ein aufgescheuchtes Reh starrte er ins blendende Licht. Ein Todesurteil.
Die grünen Augen des Blonden waren längst auf die Ferne gerichtet, wo sich die Sonne schläfrig erhob. Im nebligen Dämmerlicht wirkten die Berge und Wälder wie tausend tanzende Schemen. Und der Horizont machte den Eindruck, man müsste nur die Finger nach ihm ausstreichen.
Rowan verstand die Sehnsucht, die in Dorians Seelenspiegeln brannte, wenn er sich der endlosen Möglichkeiten ihrer Welt besann. All den Chancen, all den Hoffnungen. Rowan verstand die Sehnsucht, aber er würde sie nie kennen. Wirklich kennen.
Aber was er kannte, war das Streben nach mehr. Rowan wusste, dass Dorians niemals genug haben würde. Genug Risiken, genug Gefahren. Genug Euphorie, genug Freude. Genug vom Leben.
Es würde ihm nicht einmal reichen, wenn man ihm tausend Welten zum Geschenk machte. Tausend Welten und mehr Möglichkeiten, als ein Mensch fähig war zu zählen.
Dorian würde niemals aufhören, seinen Blick gen Himmel zu richten.
Manchmal waren sie sich ähnlicher, als Rowan gedacht hätte.