Der Restaurator und die Söldnerin


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Tanija
Published
1 year, 2 months ago
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Ben seufzte und legte den kleinen Pinsel beiseite, den er benutzte, um die abgekratzten Reste des Hasenhautleims von der Rückseite des Gemäldes zu entfernen. Die elektronische Glocke seines Ateliers hatte geläutet und er hörte bereits einen seiner Assistenten zur Tür eilen. Der hagere, ältere Mann drehte sein Handgelenk und warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Die Ziffernblätter zeigten ihm zwei Minuten vor drei Uhr nachmittags an - sie war wie immer pünktlich auf die Sekunde. Er striff die Handschuhe ab und rief Helena, seine zweite Assistentin, zu sich, die daraufhin das Austauschen der Raumluft vorbereitete. Der Geruch nach Hautleim, so sehr Ben ihn in seinem Leben hatte verinnerlicht, war nichts, was er seinem Gast antun wollte. Er verstaute das bearbeitete Gemälde zwischen mehreren MDF-Platten und einem Gewicht, dann verließ er den Hauptraum seines Ateliers durch die großen, offenen Türgänge, um zu seinem Assistenten und Katharina im Empfangsraum zu stoßen. Die hochgewachsene Frau sah wie immer absolut adrett aus und hatte sich sogar die Zeit genommen, in eine Bluse und feine Hose zu wechseln, bevor sie sein Studio betreten hatte. Sie hatte sich in einen der Sessel gesetzt und eins ihrer langen Beine über das andere geschlagen, während ihr Blick die Ausstellungsstücke sezierte, die in dem Empfangsraum an den Wänden hingen. Neben ihrem Sessel stand ein verstärkter Koffer aus einem glänzenden Material auf dem Boden. Der Restaurator setzte ein erfreutes Lächeln auf die Züge, das die Altersfalten um seine Augen freundlich aber tief werden ließ.

"Ah, Katharina! Ihr Anblick lässt das Herz eines alten Mannes aufgehen. Ich hoffe, Sie hatten keine Umstände auf dem Weg hierher? Hat Alexander Ihnen bereits einen Kaffee angeboten?"

Die Frau winkte ab und setzte ebenfalls ein charmantes Lächeln auf, allerdings wusste Ben sofort, dass es ein rein geschäftlicher Ausdruck war. Katharina, absolut effizient und bisher nie eine Enttäuschung, wann auch immer er ihre Dienste in Anspruch genommen hatte, war kalkuliert und hatte kein Interesse an echter Freundlichkeit; das wusste der Mann. Aber nach knapp drei Jahren reibungsloser Kooperation wusste er ihre Mühen, zumindest den Eindruck zu erwecken, sehr zu schätzen.
"Danke, es ist alles großartig, wie immer", sagte sie schließlich und stand auf, um seine Hand zwischen ihre beiden zu nehmen, während er Alexander aus dem Raum schickte, um sich um den Kaffee zu kümmern und den Gast nicht weiter anzustarren. Sie tauschten noch ein paar Floskeln aus, dann setzten sie sich beide in die Sessel und warteten auf den angekündigten Kaffee, der von Alexander ordentlich vor die beiden auf einem halbhohen Tisch abgestellt wurde. Der Assistent konnte seinen Blick kaum von der Söldnerin nehmen, weswegen Ben ihn seufzend zurück an die Arbeit an eines der anderen Bilder schickte. Entschuldigend wandte er sich wieder zu der Frau: "Verzeihen Sie, Sie wissen ja, wie schwierig es ist, gutes Personal zu bekommen, heutzutage. Noch dazu mit den Ansprüchen, die unsere Berufe mit sich bringen. Notabene, ich hoffe, unsere beiderseitigen Freunde haben Ihnen dieses Mal keine Probleme bei der Beschaffung bereitet?"

Er bemerkte, wie sich eine längliche Falte über die Stirn des sonst fast perfekten Gesichts seines Gegenübers legte und die Frau lehnte sich steif ein Stück zurück gegen die Lehne des Sessels. Ah, es gab Probleme, stellte der Restaurator gedanklich fest und nahm eine der beiden Tassen in seine rauen aber gepflegten Arbeitshände. Katharina tat es ihm gleich und er bemerkte, dass ihre Hände unruhig geworden waren; er meinte sogar, ein leichtes Zittern wahrzunehmen. Das war tatsächlich ein sehr ungewöhnlicher Anblick an der sonst so selbstbewussten Geschäftsfrau. Sie trank einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse dann wieder ab, bevor sie den Koffer neben sich anhob und auf ihren Oberschenkeln ablegte. Mit betonter Ruhe antwortete sie: "Nein, keine Probleme mit der Foundation. Nicht direkt. Ich fürchte allerdings, dass Sie bald einen neuen Handler zugewiesen bekommen werden. Da diese Lieferung unvollständig und teilweise beschädigt ist, schlägt die Firma vor, einen Preisnachlass auf diese und auf die nächste zu erlassen, wenn das in Ihrem Sinne ist."
Ben lachte kurz leise auf und griff dann nach einer ihrer zittrigen Hände, um diese vorsichtig zu tätscheln. "Aber, aber, meine Liebe. Sagen Sie Ihrem Vorgesetzten gern, dass ich keine andere Beraterin wünsche und auch niemand sonst meine Lieferungen zu bringen hat. Wäre eine Schande, wenn die Person von Kasimir beim Betreten des Grundstücks erschossen wird - er ist nicht besonders anpassungsfähig", scherzte der Mann und er meinte, einen Hauch Erleichterung seitens Katharina wahrzunehmen. Tatsächlich war seine Wache vollends in der Lage dazu, aber er mochte Katharina und er wusste, wie gnadenlos die Strukturen des Syndikats waren. Zumindest oberflächlich hatte er etwas Wissen über die Organisation ansammeln können durch das, was er von Klienten, Bekannten und Auftraggebern gleichermaßen in Erfahrung hatte bringen können. Es war natürlich eine Blamage - für alle Beteiligten -, dass die Lieferung nicht nach Plan gelaufen war. Er wusste aber, dass sie ihn kein zweites Mal enttäuschen würde, dafür war die Söldnerin zu stolz und er war sich sicher, dass für sie mehr an diesen Aufträgen hing, als nur die Karriereleiter.

"Darf ich?", fragte er mit einem Blick auf den Metallkoffer und sie schob ihm diesen vorsichtig zu. Nach dem Öffnen des Deckels via Code warf er einen prüfenden Blick auf einen unscheinbaren Glasbehälter mit dunkelrotem Pigment darin. Es war nur ein einzelner, kleiner Behälter, vielleicht fünfzehn Gramm reines Pigment, und der Restaurator unterdrückte das aufkeimende Gefühl von Enttäuschung. Wie sollte er die Serie so bloß in ihren Ursprungszustand zurückversetzen? Er dachte an die mannsgroßen Gemälde in seinem Lager, eingewickelt in Archivplastikfolie und vor Licht und fortschreitendem Verfall geschützt, bis sie irgendwann durch die Arbeit seiner Hände wieder wahre Wunder in ihren Betrachtern auslösen können werden. Es war eine wahre Tragödie und nun würde er seinem eigenen Auftraggeber die Verzögerung gestehen müssen. Ben machte sich nichts um die Kosten, die dadurch entstanden. Er dachte ausschließlich an die Kraft der anomalen Kunstwerke, die durch einen massiven Wasserschaden und darauffolgendem Angriff durch Schimmelpilze fast nicht mehr vorhanden war und welche ihn bis ins Tiefste faszinierte. Der ursprüngliche Künstler hatte anomale Pigmente benutzt, deren Beschaffung dem alternden Restaurator selbst nicht mehr möglich war - ganz zu schweigen von der Tatsache, dass dies auf einem legalen Weg fast zur Gänze ausgeschlossen war. Normalerweise hatte Ben es eher mit Werken zu tun, die durch die Technik, der Pinselführung, der Verarbeitung oder schlicht der Anordnung von Bildelementen in der Komposition des Bildes anomale Eigenschaften entwickelt hatten. Nur selten bekam er ein Werkstück in sein Studio geliefert, welches tatsächlich ausschließlich durch das Pigment anomal wurde. Umso schwieriger war die Rekonstruktion und Konservierung des Werkes, damit der Effekt für die Nachwelt erhalten wurde. Und hier lag auch der Hund begraben: Die Foundation war ihm in seinem Schaffen sowohl eine helfende Hand als auch ein Gegenspieler.

Mal holten die Wissenschaftler der Organisation seine Meinung zu einem Werk ein, mal baten sie ihn, eines ihrer Werke zu konservieren. Natürlich tat er das, schließlich war es das, was er sich für sein Leben zur Aufgabe gemacht hatte - aber dann waren da noch die anderen Momente. All die Momente, in denen er von einer Horde hirntoter Soldaten umzingelt wurde, um ihn zu einem Klienten auszufragen. Die Momente, in denen die Foundation ihn aktiv an seiner Arbeit hinderte oder ihn eben direkt oder indirekt davon abhielt, Lieferungen für die Konservierung der Werke zu erhalten. Er hatte schon vor langer Zeit aufgegeben, selbst Angestellte auszusenden, die diese Aufgaben erledigen konnten. Die Foundation hatte über die Jahre stark nachgerüstet und er sah sich gezwungen, auf spezialisierte Söldner wie das Syndikat zurückzugreifen, um seiner Arbeit noch nachgehen zu können. Das Verhältnis zu den Wissenschaftlern war dadurch im Verlauf der Zeit noch angespannter geworden, aber sie hatten scheinbar akzeptiert, dass er weder Freund noch Feind war.
Leben und Leben lassen, scherzte er dann immer, wenn einer der ihren an seiner Pforte auftauchte oder er gebeten wurde, einen Stoffbeutel aufzusetzen und seine Hände hinter dem Rücken zusammenzunehmen, damit er transportiert werden konnte. Er mochte den ganzen Heckmeck nicht, es hielt ihn von seinen Arbeiten ab und jetzt, wo sein Körper langsam schwächer wurde und entweder seine Assistenten oder Kasimir häufig helfen mussten, wenn er ein größeres Gemälde bewegen wollte, waren auch die Verhöre physisch nicht mehr so einfach einzustecken.

Die elektronische Glocke läutete erneut und der Restaurator besann sich wieder der Situation. Sein deutliches Zögern war der Söldnerin nicht entgangen und sie schloss den Koffer mit ernstem Gesichtsausdruck, wohl wissend, dass andere Gäste den Inhalt nicht zu sehen bekommen sollten. Ben rief nach seinem Assistenten und teilte ihm mit: "Ah, das wird Frau Loewen sein, bitte lass' sie herein und bringe sie nach nebenan."

"Oh, Johanna Loewen? Ist sie aus Hamburg angereist?"

Ben schüttelte kurz den Kopf, antwortete Alexander trotz dessen unpassender Neugierde dennoch wahrheitsgemäß. "Nein, nein, ihre Tochter. Sie arbeitet neuerdings bei der Foundation. Ein beachtlicher Zufall, wenn Sie mich fragen", fügte er mit einem Zwinkern in Richtung Katharinas hinzu, die sich bei der Nennung der Organisation sichtlich angespannt hatte.

"Keine Sorge, sie ist nur kunstinteressiert."

Alexander öffnete die Tür und eine sichtlich nervöse, blondhaarige Frau stand etwas verloren in dem Türrahmen. Mit respektvollem Abstand hinter ihr stand Kasimir, welcher sie wohl zum Eingang begleitet hatte und dessen breite Statur einen starken Kontrast zu Frau Loewen bildete. Sie hatte ein zu großes, offenes Herrenhemd über einem bunten, dünnen Rollkragenpullover an und wirkte in keinster Weise wie eine Bedrohung, wie auch die Söldnerin festgestellt hatte, welche den Neuankömmling mit intensivem Blick musterte. Alexander kümmerte sich zügig um sie und begleitete sie in den Nebenraum, aus dem nach einem Moment gedämpft ein Gespräch zwischen den beiden zu vernehmen war.
Katharina hatte nach außen hin geduldig die Unterbrechung hingenommen, aber Ben wusste, dass ihre Zeit eine Währung war, die sie selbst ungern ausgeben mochte. Sie machte Ausnahmen für gute Kunden wie ihn, aber dennoch wollte er sie nicht unnötig aufhalten. Zumal er auf eine weitere Lieferung hoffte, damit die Serie tatsächlich noch in Angriff genommen werden konnte. Etwas leiser als noch zuvor beendeten sie die geschäftlichen Details, er zeichnete ein elektronisches Schriftstück gegen, welches sie ihm auf einem Pad entgegenhielt und im Hintergrund würde kurz darauf eine große Menge Geld den Besitzer wechseln. Sie wirkte etwas zufriedener, als sie endlich aufstanden, er Helena den Koffer in seinen Atelierbereich bringen ließ und Katharina dann selbstverständlich selbst zur Tür begleitete.

"Danke für Ihre Zeit, ich weiß es sehr zu schätzen. Natürlich werde ich meine Empfehlung aussprechen, sollte sich eine Gelegenheit ergeben. Kommen Sie gut nach Hause, Frau Wagner."

Die Söldnerin lächelte kurz und verabschiedete sich ihrerseits, bevor sie durch die Eingangstür ging und an Kasimir mit weitem Schritt vorbeizog, als existierte er nicht. Deutlich konnte Ben jetzt die Muskeln ausmachen, die ihre Kleidung nur teilweise kaschierten. Bei dem Anblick machte sich ein Gedanke in seinem Hinterkopf breit. Der, dass er eigentlich ganz froh war, sie nicht zum Feind zu haben - sie war der Teufel in Prada par excellence.
Der Restaurator schloss die Tür, nachdem sie in ihren Wagen gestiegen war und machte sich dann auf, sich um den zweiten Gast des Tages zu kümmern. Er wollte baldestmöglich wieder an die Arbeit gehen, um noch vor Einbruch der Nacht nach Hause kommen zu können, aber etwas in ihm ließ ihn glauben, dass der Besuch der Tochter Loewens kein gutes Zeichen war.
Er betrat den Nebenraum, in welchem Alexander und Frau Loewen auf ihn gewartet hatten und fand diese vor einer Plastik, deren Anomalie glücklicherweise defekt war. Alexander vergaß gelegentlich, Gäste vorzuwarnen, bevor sie gewisse Werke betrachteten, aber Frau Loewen hatte bereits bei ihrem letzten Besuch unter Beweis gestellt, dass sie mit Mems und ähnlichem umzugehen wusste. Er nickte seinem Assistenten zu, damit er sie allein ließ und begrüßte dann seinen Gast.

"Frau Loewen, schön, Sie erneut in meinem bescheidenen Studio empfangen zu dürfen! Womit kann ich behilflich sein - Sie schrieben, es sei dringlich?"

Die junge Frau wirkte, im Vergleich zum letzten Mal, dass er sie getroffen hatte, sehr unsicher. Als sie ihn beim vorigen Treffen zu einem Gemälde ausgefragt hatte, hatte er ein ganz anderes Mädchen vor sich gehabt, wie er jetzt feststellte. Sie hatte in der Zwischenzeit stark abgenommen und tiefe Augenringe zeichneten ihr Gesicht, was ihm vorhin gar nicht aufgefallen war. Ob ihr etwas zugestoßen war? Er hatte angenommen, die Arbeit für ihre Organisation war zwar fordernd, aber durchaus zu bewältigen für eine junge, aufgeweckte Frau wie sie.

"Ben … Ich brauche Hilfe. Nicht beim Restaurieren von etwas, nein … Ich … Es geht um die Künstlerin ParaNora."

Bei der Nennung Noras wusste Ben, dass mehr als nur Fäkalien den sprichwörtlichen Ventilator des Mädchens getroffen hatten.

Was man nicht alles für die Tochter einer guten Freundin tat.