Erinnere dich


Authors
Shahar
Published
1 year, 3 months ago
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733

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Author's Notes

And I'm losing you
Yeah, I'm losing you

(c) Losing You by Aquilo

Alma wünschte, sie könnte den Moment einfrieren. Und ihn für die Ewigkeit unverändert in ihrem Herzen mit sich tragen.

Ihre glühenden Mondaugen waren unverwandt auf die blassen Seelenspiegel der dreiäugigen Prophetin gerichtet. Lange hatte Alma geglaubt, dass in ihrem Herzen kein Platz mehr für andere war. Lange hatte sie sich selbst betrogen.

Manch einer behauptete, dass jede Katze nach ihrer zweiten Hälfte suchte. Nach einer Person, welche die eigene Leere mit Glückseligkeit füllen konnte. Aber selbst in all den Monden ihres Lebens hatte Alma nie jemanden auf diese Weise geliebt. Und auch wenn sie nun Re betrachtete, wusste die Geflügelte, dass ihre Empfindung nicht dem Gefühl glich, von dem alle mit glänzenden Augen sprachen. Es war so viel mehr als Liebe es je sein könnte. Eine Verbindung, die bis in die Tiefen der Hölle reichte und die Zeit selbst überdauern würde. Eine Verbindung, so hell wie das Licht von tausend Sonnen und so dunkel wie die Schwärze zwischen den Sternen.

Alma hatte die Weberinnen des Schicksals jeden Tag aufs Neue verflucht. Bis ihr die flehende Stimme versagte. Bis ihr Aufschrei zu einem Krächzen im Körper des Raben geworden war. Und doch hatten die ewigen Weberinnen Gnade mit Alma gezeigt. Waren die Lebensfäden der Seelenwanderin und der Prophetin einst lose Stränge gewesen, fanden sie jetzt ihren Platz als Teil von etwas Größerem.

Einer Bestimmung, welche die Unterwelt für sie beide vorgesehen hatte. Die zwei Auserkorenen der Hölle.

Jene weit entfernte Welt hätte jede Katze auserwählen können, aber Alma und Re schienen sich qualifiziert zu haben. Sie waren besonders. Einzigartig unter Millionen von Artgenossen. Die hellsten Sterne am Himmel.

Die Seelenwanderin hatte seit ihrer Wiedergeburt im ersten fremden Körper gewusst, dass sie von nun an anders war. Damals haftete diesem Begriff eine Welle an negativer Energie an, aber nun war ihr Herz von Freude erfüllt. Das Wissen um eine höhere Macht, die ihre Pfotenschritte leitete, streichelte sanft über ihre aufgebrachte Seele.

Alma hatte geglaubt, sich im ewigen Fall in die Finsternis zu befinden, aber endlich spürte sie sanfte Pfoten, die sie auffingen. Waren es Pfoten? Oder doch eher die dunklen Fangarme der Hölle?

Die ewige Wanderin blinzelte, atmete, lebte.

Wann hatte sie sich das letzte Mal so unbeschwert gefühlt? Die Erleichterung schien wie Blut durch ihre Adern zu strömen, ihren gesamten Körper zu durchtränken. Almas Herz klopfte schnell – Oh, so schnell! – in ihrer Brust. Aber weder Angst noch Furcht brachten es dazu, aus dem Takt zu stolpern. Es war alleine die unbändige, ungebremste Freude. Eine Freude, die das Resultat einer neu gefundenen Bestimmung war.
Eine Freude, deren neues Erstehen Re’s Verdienst war.

Almas wollte vor der anderen Kätzin auf die Knie gehen und der Prophetin ihren endlosen Dank aussprechend. Stattdessen ließ sie ihren Blick sprechen.  
Und er sagte mehr, als tausend Worte es je könnten.

Aber auch der perfekte Augenblick konnte nicht von Dauer sein.

Und der Sand der Zeit rieselte weiter. Gemächlich. Unbarmherzig. Teilnahmslos.
Die Welt befand sich im stetigen Fluss; veränderte sich in jeder verstreichenden Sekunde.

Alma war endlich aus ihrem Stillstand erwacht, um ein Teil des Ganzen zu werden. Der Schmuck der Königin tanzte über die Erscheinung der Geflügelten.

“Freundin“, Alma hauchte die Worte voll Bedauern, “Ich spüre, wie der Wahn an mir zehrt. Es ist ein Fluch, den auch die Hölle nicht von mir nehmen kann.“ Es stand der Seelenwanderin nicht zu, in ununterbrochener Klarheit zu verharren. Die Erkenntnis selbst würde langsam aber sicher dahinschwinden. Ihre Zeit war abgelaufen.

“Wenn die Dunkelheit mein Licht wieder zu überschatten beginnt, dann erinnere dich daran, dass ich zurückkommen werde. Zurück zu dir und meiner Bestimmung“, ihre Augen waren wie Monde, die sich in einem klaren Teich spiegelten, “Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen.“
Alma blinzelte (die Tränen hinfort).
“Ich habe eine letzte Bitte an dich“, Almas Stimme begann zu zittern, während das Dröhnen in ihrem Kopf anschwoll, “Lass mich diesen Kampf alleine bestreiten.“
Keine Seele der Welt konnte ihr helfen, kein Licht ihren Weg erhellen.

Ich möchte nicht, dass du siehst, wie ich ihn verliere, Re.

„Was immer du wünschst, meine Königin“, Alma hörte, wie Re's Stimme brach.