Winds and Waves


Authors
Shahar
Published
9 months, 15 days ago
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Llyr thronte wie ein König auf einer Klippe über dem unruhigen Ozean. 


Schaum und Gischt spritzte an schroffen Felsen empor, die aus dem Meer hervorstachen wie Fangzähne. Und hohe Wellen brachen unablässig an der Steilküste. Sie brachen und brachen. Tosten und tosten. So laut, dass man meinen könnte, die Welt würde ihrem Untergang schnellen Schrittes entgegengehen. Dass man meinen könnte, es würde kein Morgen geben.

Der Himmel war beinahe schwarz; bedeckt von den dunkelsten Wolkentürmen, die jeden Küstenbewohner die Farbe blau vollkommen vergessen ließen. 

(Als hätte es sie nie gegeben. Als würde es sie niemals mehr geben.)

Das wogende Wasser spiegelte den Himmel wider; es war aufgewühlt und dunkel. Als könnten sich jeden Moment Seeungeheuer daraus erheben und Albträume zur Realität werden lassen. Als könnte kein Wesen in den schwarzen Tiefen bestehen. 

Der Wind heulte, wie der Aufschrei eines sterbenden Wesens. Wie das Klagen einer verlassenen Seele. Wie das Weinen eines einsamen Herzens. Und sein Heulen trug eiserne Kälte mit sich. 


Llyrs Fell flatterte in der Böe ungehalten hin und her, aber ver schien keine Notiz davon zu nehmen. 


Nasse Perlen begannen auf die Küste zu tropfen. Sie sprenkelten den Strand, tauchten ihn in dunkles Braun. Sie verscheuchten das letzte Leben; trieben die letzte kreisende Möwe und den letzten verirrten Wanderer zum nächsten Unterschlupf. Wie ausgestorben lag die Küste dann da; verlassen und leergefegt. 

Als der Himmel seine Tore weit öffnete, wurde das zaghafte Tropfen zum lautstarken Trommeln. Schwerer Regen prasselte auf die Welt hernieder und tauchte die Landschaft in einen undurchsichtigen, groben Schleier. 

Als heischte er um Aufmerksamkeit, grollte in der Ferne der Donner auf. So laut wie das Knurren einer rotäugigen Bestie, die in die Enge getrieben worden war. Das Geräusch schien eine Ewigkeit zu ertönen und als es endlich abklang, hörten sich Wind und Regen vergleichsweise still an. Beinahe sanft, einlullend. Als würden sie der Welt ein Wiegenlied singen. 

Und dann durchschnitt ein greller Blitz die Dunkelheit. Blendendes Licht griff nach der Erde; wie lange, dürre Finger. Finger eines wütenden Gottes, der seinen Zorn herabsandte. 

Das Meer spiegelte die gleißenden Zacken tausendfach wider.


Llyrs Augen fingen den Blitz auf; wurden wie der Ozean selbst zu Spiegeln des Himmels.


Ein aufgeladenes Knistern schien in der Luft zu liegen. Es packte jeden versteckten Beobachter, nahm jeden heimlichen Zuhörer vollkommen für sich ein. Der Sturm war schrecklich und schön zugleich. Tödlich und faszinierend. 

Als der nächste Donner die Küste erschütterte und der nächste Blitz den Himmel erhellte, zeichnete sich für einen Augenblick ein Schiff am Horizont ab. Eine dunkle Silhouette vor einem erhellten Himmel. Ungestüme Wellen ließen es schwanken. Schwanken und schwanken. Hin und her. Her und hin. 

Der Wind zerrte am Segel, als wollte er es zerreißen, der Regen prasselte auf das Deck, als wollte er Löcher hineinschlagen. Das Unwetter schien sich dem Schiff entgegenzuwerfen, als wollte es einen Eindringling vertreiben. Einen ungebetenen Gast loswerden. 

Die Stimmen der Besatzung gingen im Jaulen des Windes unter. Flehende Gebete und panische Rufe wurden hinfortgetragen, um auf immer ungehört zu bleiben. 

Und weil es kein rettendes Licht gab, kein helles Zeichen in der Dunkelheit, zerschellte das zerbrechliche Holz des Rumpfes an den scharfkantigen Felsen. Felsen, die weit aufgesperrt waren wie Münder, die darauf warteten, ihre Beute zu verschlingen.


Llyr wurde Zeuge vom Untergang des Schiffes. Ver hörte Holz und Knochen splittern. 


Am nächsten Morgen spuckte das Meer die Überreste des Schiffes an den Strand. Holzplanken und -splitter ragten aus dem Sand; bedeckt von Algen und Ranken aus den Tiefen. Möwen ließen sich darauf nieder, Krabben verkrochen sich in den kühlen Schatten. Und Muscheln hefteten sich an das nasse Holz, das aus dem Wasser hervorragte. 

Wochen später sprossen gelbe Blumen hervor, wo zuvor Knochen an den Strand gespült worden waren. Sie streckten ihre kleinen Köpfchen dem Sonnenlicht entgegen. Und grüne Gräser wogten in der sanften, salzigen Brise, die vom Meer herbeiwehte. Als der Wind durch die Halme fuhr wie ein Kamm, raschelten sie leise vor sich hin. Sie stimmten eine gemächliche Melodie an und tanzten in ihrem gleichmäßigen Rhythmus. 

Ein Wanderer erfreute sich an einer Münze, welche die Gischt im Sand neben einer schillernden Muschel zurückgelassen hatte. Sie glänzte wie ein goldener Segen im orangen Licht der Morgendämmerung. Das Wasser spülte seine Fußspuren im Sand alsbald hinfort; der Strand vergaß seine Anwesenheit. Der Strand erinnerte sich nicht.

Der Himmel war eine Leinwand, die man mit groben Pinselstrichen bemalt hatte. Warme Farben leuchteten zwischen weißen Wattewolken hervor; gelb, orange, rot. Und ein zartes rosa. Der Himmel war ein Kunstwerk; einzigartig und vergänglich. Nicht für die Ewigkeit bestimmt. 


Llyr verharrte noch immer am Rande der Klippe, die hoch über dem Meer aufragte. 


Die Wellen schwappten gemächlich gegen die Felsen, der Wind strich über die ruhige Wasseroberfläche. Schaum krönte die Wellen. Vögel zogen am Himmel ihre weiten Kreise, kreischten und krächzten. Ihre weiten Schwingen durchschnitten die Luft mit Leichtigkeit und Eleganz. 

Unter ihnen flüsterte die See. Sie flüsterte ein Lied, so harmonisch und sacht, dass die Erinnerungen an die Schrecken der Meerestiefen verblassten. Die Gefahr, die Grausamkeit, die Gnadenlosigkeit; alles wurde hinfortgespült von der Melodie dieses zarten Morgens. 

Vom endlosen Lied der See. 

Von einem Lied, das jeden Zuhörer zum Träumen einlud. 

(Und jeden Träumer vergessen ließ, wie schnell es zum Albtraum umschwingen konnte.)


Llyr lauschte dem Ozean. Und erinnerte sich daran, dass vers Stimme einst Teil des Gesangs gewesen war. 

Heute war Llyr kein Teil eines Ganzen mehr, heute war Llyr ein Beobachter. Ein stummer Beobachter, der auf die Wellen herabblickte und sich den Winden entgegenlehnte. 

Llyr war Zeuge eines ewigen Kreislaufes, eines ewigen Spiels. 

Es war ein Auf und Ab aus Vergehen und Entstehen. (Wie der Wellengang.) 

Ein Hoch und Nieder. (Wie Ebbe und Flut.)

Leben und Tod gingen Hand in Hand. 

Wie Traum und Albtraum.