Löwinnen


Authors
Shahar
Published
8 months, 16 days ago
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420

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Als sich ihre Blicke trafen, schien die Luft zwischen ihnen vor Spannung zu knistern.
Wut funkelte in Gwendolyns Augen, sie versuchte gar nicht erst, diese Emotion zu verbergen.
Amy hingegen war ruhig, aber wachsam. Sie suchte weder die Aufmerksamkeit noch das Gespräch mit Gwendolyn van Becquart. Trotzdem entging ihr keine Bewegung, kein Wort der jungen Frau.
Und doch umkreisten sie einander wie zwei Löwinnen, die nur darauf warteten, dass die andere die Krallen ausfuhr und zum Sprung ansetzte.
"Amélia", Gwendolyn ergriff zuerst das Wort, ihre Schritte waren selbstsicher und ihre Haltung gestrafft, als sie ihr Cocktailglas beiläufig auf dem Stehtisch vor Amy abstellte.
"Niemand nennt mich so", Amys Stimme war unterkühlt.
"Nun, jetzt schon", Gwendolyn verzog keine Mine.
"Was willst du von mir? Du bist sicherlich nicht gekommen, um ein Pläuschchen über das Wetter oder das Essen zu führen."
"Da liegst du richtig, in der Tat", Gwen reckte ihr Kinn ein wenig in die Höhe. Sie verstand jenes Spiel auf Höflichkeit und Gerissenheit. Sie war damit aufgewachsen, kannte Regeln und Schachzüge. Aber sie hatte es nie gerne gespielt, nein, das hatte sie wahrlich nicht.
Ihre Augen wanderten durch den Raum, bis sie Glenn fand, der von einem jungen Pärchen in ein Gespräch verwickelt worden war. Er wirkte verloren, vielleicht sogar überfordert. Amy folgte Gwendolyns Blick, der Ausdruck in ihrem Gesicht wurde noch härter.
"Du benutzt ihn", der Vorwurf wog schwer, "Du benutzt ihn für deine Zwecke ohne auch nur einen Gedanken an die Konsequenzen deiner Aktionen zu verschwenden." 
Amy lachte hohl auf. Unverhohlener Ehrlichkeit begegnete man in diesen Kreisen nur selten. Und wenn, dann wurde sie als Schwäche aufgefasst.
"Ach, und wenn es so wäre, was willst du dann dagegen tun?", unbeeindruckt zog sie eine Augenbraue nach oben und verschränkte ihre Arme.
"Ich werde ihn retten", Gwendolyn legte erstaunliche Entschlossenheit an den Tag. Und glühende Zuversicht.
Amy schwieg für einen Augenblick, Glenn sah kurz auf und lächelte ihnen warm entgegen.
Schwungvoll drückte Amy sich dann von der Säule ab, ihre weißen Haare wirbelten durch die Luft. Sie hatte beschlossen, dass dieses Gespräch zu Ende war. Und dass Gwendolyn ihrer Zeit nicht länger wert war.
Bedächtig langsam schritt Amy an Gwendolyn vorbei. So nah, dass die andere Frau ihre letzten Worte vernehmen konnte. Worte, die für keine anderen Ohren bestimmt waren.
"Und wenn er nicht gerettet werden will, Gwendolyn van Becquart?"
(Ja, was dann?)