Ein Traum von tausend Welten


Authors
Shahar
Published
5 months, 13 days ago
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Das lange Gewand des Träumers raschelte wie Pergament auf dem kühlen Steinboden, als er auf seinem abgewetzten Schreibtischstuhl Platz nahm. Das Schaben des Hockers war laut in der ewigen Stille des endlosen Raums. So laut. 

Der Träumer jedoch war in Gedanken, starrte eine Weile lang ins flackernde Kerzenlicht, das tanzende Schatten warf. Von der Schreibfeder, vom kleinen Glas, gefüllt mit tiefschwarzer Tinte und vom Stapel vergilbten Papierbögen. Nur der Träumer warf keinen Schatten. 

Der Träumer begann zu schreiben, wie er schon tausend Male begonnen hatte zu schreiben. Mit einer beinahe schon routinierten Bewegung griff er nach der Feder. Das Holz glänzte von der Berührung unzähliger Finger. Hatte er erst sanft, beinahe liebevoll, nach der Feder gegriffen, bebte sie nun in seiner Hand. Bevor der Träumer zu schreiben begann, schlich sich Furcht – Ehrfurcht? - in sein Herz. Und Vorfreude. 

Die glänzende Metallspitze strich zögerlich über weißes Papier, filigrane, tintenschwarze Linien flossen heraus und das Gesicht des Träumers erstarrte zu einer emotionslosen Maske. Er hatte nie etwas Anderes getan, hatte zugesehen, wie tausend Lettern und Zeichen in wunderschöner Gleichmäßigkeit begannen, sich über das Papier zu erstreckten. Es war eine seltsame Ruhe, die ihn überkam, wenn er die Feder in die Tinte tauchte und seine Einsamkeit damit zubrachte, Welten zu erschaffen.

Welten, manchmal so voller Leben. Manchmal so trist und grau wie ein Wintermorgen.

Aber der Träumer konnte die Feder nicht absetzen, konnte den Blick nicht abwenden. Er musste zu Ende führen, was er begonnen hatte, unabhängig davon wie viel Leid er verursachte, wie viel Schmerz er zufügte. 

Er musste träumen. Träumen von jener fernen Welt, die ihren letzten Atemzug aushauchte, als er die Feder aus der Hand legte.