Teenager (Wachstumsquest von Setareh)


Authors
Sallidii
Published
2 years, 4 months ago
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581

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Liebes Tagebuch,

heute habe ich mich wieder mit Setareh gestritten. Etwas stimmt mit dem Jungen nicht. Er betont immer wieder, dass ich nicht einmal versuche, ihn zu verstehen. Dabei liege ich jede zweite Nacht wach und versuche nichts anderes als das. Er beschimpft mich als Atheist, weil ich nicht an die gerechte Göttin glaube, an die er glaubt. Andererseits scheint es ihn weniger zu stören, dass seine Mutter und Schwester es genauso wenig tun. Er spricht mit jedem Tag weniger mit mir. In manchen Momenten bin ich fest davon überzeugt, er würde mich hassen. Als ich letzten Abend erneut wach lag und an die Decke starrte, versuchte Ari, mich zu trösten und zu beruhigen. Ich weinte. Wenn ich mich recht erinnere, weinte ich das letzte Mal bei der Geburt unserer Kinder. Was habe ich falsch gemacht? Habe ich Sitarah bevorzugt? Setareh nicht genug Liebe geschenkt? Vielleicht hätte ich die beiden nicht so oft miteinander vergleichen dürfen. Ich liebe sie beide mit ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten.
Dennoch kann ich schlicht nicht darüber hinweg sehen, was Setareh manchmal von sich gibt. Ich gebe seinem Glaselement dafür die Schuld. Hätte er nicht die Fähigkeit, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden, wäre er nicht bereits in seinen jungen Jahren so oft Enttäuschungen ausgesetzt gewesen wie die meisten anderen Dolls in Docordis. Mittlerweile ist er so sensibilisiert, dass er selbst auf die kleinsten Notlügen giftig reagiert. Er versteht nicht, dass die absolute Wahrheit nicht immer der richtige Weg ist.
Er verbringt nur noch wenig Zeit Zuhause. Stattdessen verbringt er seine freie Zeit bei der Floristin, die ihm den Schwachsinn mit der Göttin eingeredet hatte. Einen Tag begleitete ich ihn, um der Fanatikerin meine Meinung aufzutischen, was ihr einfiele, meinen Sohn zu indoktrinieren. Aber zu meiner Enttäuschung war es eine ganz normale Frau, die auch durch ihr Glaselement gezeichnet wurde. Ich erkannte, dass diese ausgedachte Göttin ein Schutzmechanismus der beiden ist. Beide hören und sehen Dinge, die sie am liebsten ignorieren würden. Und um etwas Gutes aus ihrer traurigen Fähigkeit ziehen zu können, glauben sie an eine höhere Macht, an einen größeren Zweck. So habe ich sie mit ihrem Glauben in Ruhe gelassen. Aber Setarehs Wut auf mich klang trotzdem nicht ab. Noch immer akzeptiert er nicht, dass ich offen anders denke. Als er heute wie so oft wutentbrannt aus dem Wohnzimmer stürmte, sagte Ari etwas, das mein Problem mit meinem Sohn augenblicklich auf den Kopf stellte. Traurig murmelte sie: "Es ist nicht, weil er dich weniger mag. Vielleicht reagiert er bei dir so hart, gerade weil er sich nach deiner Liebe sehnt und Angst hat, sie nicht zu bekommen."
Mir fielen die vielen Tage ein, an denen ich meinen Kindern eine Aktivität vorschlug, zu der nur Sitarah begeistert aufrief. Sie hatte immer zu allem Motivation. Doch bei Setareh erwischte ich mich irgendwann dabei, mir weniger Mühe zu geben. Er hatte selten auf etwas Lust außer Geschichten zu schreiben oder zu zeichnen, deshalb störte ich ihn nicht weiter und unternahm etwas allein mit seiner Schwester. Er könnte in den Gedanken eingesperrt sein, ich würde mich nicht mehr für ihn interessieren. Seine Wut wäre schlicht Symptom aus der Angst eines Kindes.
Ich werde morgen mit ihm darüber sprechen. Und ihm sagen, dass ich ihn liebe. Das habe ich schon eine Weile nicht mehr getan.
- Vincent