Seerosenfest Asazel


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2 years, 1 month ago
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Die Risse die sich durch das feine Porzellan zogen spiegelten sein Innerstes wider. Als würden diese sich nicht nur durch die äußere Hülle ziehen, sondern viel, viel tiefer gehen. Sie brandmarkten ihn für immer und zeigten ihm bei jedem Blick in den Spiegel die unausweichliche Realität. Er würde solange er lebte nur ein Nebenprodukt seines Materials sein, Mangelware.
Die Innenstadt war voll an diesem gewöhnlichen Tag. Asazel lief entschlossen durch die Menge auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz. Die Mittagspause, welche er ursprünglich mit einer warmen Mahlzeit verbringen wollte, hatte er zutiefst frustriert über den ganzen Trubel verworfen. Lieber würde er ein Fertiggericht an seinem unbequemen Bürostuhl zu sich nehmen als weiterhin die verächtlichen Blick auf sich zu spüren. Blicke die nur für ihn sichtbar waren, egal wo er hinging. Sie verspotteten ihn, lachten innerlich über ihn, weil er nie den Status einer wahren Porzellandoll erreichen würde. Wie Ausschuss, welcher über das Laufband lief war sein Schicksal bereits seit seiner Geburt vorbestimmt gewesen. Doch plötzlich bemerkte ihn tatsächlich eine Doll und ein Blick richtete sich nicht nur in seinen Gedanken auf ihn. „Hallo!“ rief eine helle Stimme durch die Menge. Asazel, welcher nach wie vor in seiner eigenen Gedankenwelt festhing fühlte sich nicht im Mindesten angesprochen. Wieso sollte ihn auch jemand ansprechen, noch dazu jemand Fremdes. Zarte Füße stolperten über den heißen Asphalt und auf die Porzellandoll zu. Asazel spürte einen Widerstand in einem seiner Hemdärmel. Große gelb, grüne Augen, ein Grinsen und rosige Wangen fokussierten ihn. „Hallo“ sagte die unbekannte Doll ein weiteres Mal und wurde noch etwas röter. „Ich bin Elise und.. wie ist dein Name?“
Eine Stoffdoll, zwar ein seltenes Material, dennoch recht gewöhnlich wenn man sich in der Innenstadt umsah. Ihre Erscheinung wirkte nicht besonders auffallend, keine Merkmale die ihr zu einem gewissen Status verhelfen würden. Ihre zarten, durchscheinenden Flügel fielen ihm an ihr sofort auf, aber das reichte bei Weitem nicht um etwas Besonderes darzustellen in dieser Welt in der es so viele wertvollere Traits gab. Asazel war gut darin sein Umfeld bis ins Kleinste zu analysieren und jeden Makel sofort herauszustellen, am besten gelang ihm das bei sich selbst. Asazel ging einfach weiter, wieso sollte er sich mit einer Fremden abgeben die noch nicht einmal etwas Besonderes war. „Warte! Wie heißt du denn?“ ertönte die klare Stimme abermals hinter ihm, doch die Menge zog weiter und Asazel machte sich auf den Weg ins Büro.
8 Monate später.
„Verdammt Elise wie oft muss ich dir noch sagen, dass du deine Wäsche SOFORT wegräumen sollst?!“ Asazel hielt ein Oberteil in der Hand, welches offensichtlich nicht ihm zu gehören schien. „Das hätte ich schon noch gemacht.“ war die Antwort. Als Reaktion auf die Floskel die Elise in den letzten Monaten schon unzählige Male zum Besten gegeben hatte warf Asazel ihr das Stück Stoff ins Gesicht. „Hei!“ entgegnete die kleine Stoffdoll und griff sichtlich beleidigt nach dem Kleidungsstück. „Das war aber nicht nett!“ tadelte sie ihn und machte nach wie vor ein schmollendes Gesicht. Asazel hob ein weiteres Oberteil vom Fußboden auf und sah Elise mit bösen Blick an. „So schlimm ist das doch gar nicht!“ begann die Stoffdoll sich zu verteidigen, bevor ihr ein weiteres Stück Stoff entgegen geflogen kam. Kurz darauf schlug eine Tür krachend ins Schloss. Beide Oberteile lagen nun wieder am Boden als Elise sich die Schuhe über die Füße zog und mit der freien Hand nach dem Schlüssel griff. Abermals fiel die Tür ins Schloss.
Nun lebten sie bereits seit fünf Monaten zusammen in einer Wohnung. Als Mitbewohner. Denn wie sehr es Elise auch gehofft und darauf hingearbeitet hatte waren sie genau das, Mitbewohner. Dass ihr Prinz, wie sie ihn insgeheim nannte, sie überhaupt bei sich hatte einziehen lassen grenzte bereits an ein Wunder. Und auch wenn Elise sich nichts sehnlicher wünschte als Asazel nahe zu kommen, so kam ihr Arrangement dennoch nur durch einen unglücklichen Zufall zustande. Nachdem sie ihm ein weiteres Mal begegnet war als er seine Arbeit verließ gab sich Elise die größte Mühe den Unbekannten zu einem Treffen zu bewegen, oder zumindest dazu ihr seinen Namen zu verraten. Irgendwann war sie dazu übergangen die Porzellandoll auf seinem Weg nach Hause ungebetener Weise zu begleiten und mit ihm zu sprechen, auch wenn sich Asazel nicht ein einziges Mal an diesen Gesprächen beteiligte. Als Elise dann unglücklicherweise ihre Wohnung verlor wollte er sie aber dennoch nicht bei sich aufnehmen. Nach Wochen und einem verregneten Tag gestand er ihr zu bei ihm zu wohnen, genau drei Wochen in denen sie nach einer neuen Wohnung suchen würde. Das war jetzt fünf Monate her.
Weiche Stofffüße rannten den harten Gehweg entlang und die blauen Haare wehten im Wind. Sie hatten schon wieder gestritten, das war keine Seltenheit. Und Elise war wieder dabei Asazel hinterher zu rennen um sich zu entschuldigen, auch das war keine Seltenheit. So viele Monate waren jetzt schon vergangen in denen Elise immer wieder gehofft hatte auf diese Momente. Kurze Momente, Augenblicke in denen etwas zwischen ihnen entstehen würde. Doch diesen Funken gab es schlichtweg nicht, egal wie man es betrachtete. Die Stoffdoll war bereit ihren Gem in diese Sache zu stecken um ihren Prinzen doch noch irgendwie für sich zu gewinnen, doch langsam kamen Zweifel in ihr auf. Vielleicht würden sie niemals einen dieser Augenblicke zusammen erleben.
Elise hatte Asazel bereits erreicht und schnaufend stützte sie die Hände auf ihre Knie. „Jetzt warte doch mal.“ beschwerte sie sich, doch die Doll vor ihr wurde nicht langsamer. Tief seufzend setzte Elisa dazu an den Abstand zwischen ihnen beiden aufzuholen, als die kleine Doll über ihre erschöpften Füße stolperte und nach vorn zu kippen schien. Eine harte Hand stoppte ihren Fall indem er ihren Kopf wie einen Ball zurückfedern lies. „Kannst du das nicht etwas sanfter machen?!“ empört hielt Elise sich die Stirn. Wieder ein verpasster Moment. Gedanklich stopfte die Stoffdoll diesen potentiellen gemeinsamen Augenblick in den bereits übervollen Ablagestapel in ihren Gedanken. „Asazel hör mal..“ setzte sie nun zu ihrer alltäglichen Entschuldigung an. „Das funktioniert so nicht.“ unterbrach die Porzellandoll sie noch im Satz und drehte sich um. „Ich habe eine Wohnung für dich. Ein Arbeitskollege schuldete mir noch einen Gefallen. Du kannst in ein paar Tagen dort einziehen.“ Alles war bereits geplant, Asazel musste das Ganze bereits seit ein paar Tage organisiert haben. Stille. Es schien tatsächlich keinen Funken, keinen winzigen Augenblick zwischen ihnen zu geben. „In Ordnung.“ gab Elise zu dem Vorhaben ihre unnötige Zustimmung. „Ich helfe dir mit deinen Sachen wenn wir zurück sind.“ bot Asazel zwar großzügig an, aber das würde ihn am Ende auch nur schneller an sein Ziel bringen. „Weißt du..“ begann Elise und sah zögerlich zu Boden „Ich vermisse mein Zuhause. Ich wünschte manchmal ich könnte dorthin zurück.“ Tatsächlich fühlte sich Elise manchmal schrecklich allein. Sie hatte gedacht das würde sich ändern wenn sie tatsächlich mit Asazel zusammenleben würde, da hatte es aber nicht. „Ich kann dazu nichts sagen. Ich habe noch nie erlebt wie sich „Zuhause“ anfühlt.“ entgegnete er ihr. Nun sah sie Stoffdoll ihr Gegenüber traurig an. „Streck mal deine Hand aus.“ wies sie ihn an und bevor er etwas Ablehnendes erwidern konnte ergänzte Elise ein leises „Bitte.“ Stumm hob Asazel seine Hand und sie legte ihre weiche Handfläche gerade auf seine. Sie Hand fühlte sich kalt und hart an. Der absolute Kontrast zu ihrer eigenen weichen, nachgiebigen Handfläche. „Zuhause ist kein Ort, es sind Dolls die dich von Herzen lieben und die immer für dich da sind.“ Elise sah auf. „Ich wünsche dir, dass auch du dein Zuhause irgendwann finden kannst.“
Und da, da war es. Ein Funken.