Götter der endlosen Stadt


Authors
Shahar
Published
5 months, 19 days ago
Updated
5 months, 11 days ago
Stats
8 3204

Chapter 2
Published 5 months, 19 days ago
552

Explicit Violence
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Author's Notes

II. Rachel Diaz


Rachel Diaz trommelte mit ihren langen Nägeln unablässig auf den Tisch.
Klack, klack, klack.
Ihre Augen spiegelten den holografischen Bildschirm wider. Hellblau auf dunkelbraun.
Immer wieder zuckte ihr Blick zur Seite, wo zwei kleine weiße Pillen in einem Plastikbeutel neben der Tastatur lagen. Immer und immer wieder.
Zwei. Nur noch zwei.
Klack, klack, klack.

Ihr Atem ging flach, Schweiß brach aus. Sie wandte sich vom Tisch ab, stützte ihren Kopf auf die Hände und schloss die Augen. Eigentlich müsste sie ihre Arbeit beenden, aber ihre Konzentration war längst dahin.
Und der Grad zwischen Verzweiflung und Wahnsinn war in Momenten wie diesem schmal.
“Klack, klack, klack“, hallte es in ihrem Kopf wieder.

Eine halbe Stunde später verließ Rachel Diaz die dunkle Kellerwohnung.
Leichter Nieselregen benetzte ihre erhitzte Haut und milderte das Brennen der dünnen Drähte, die wie mechanische Adern darunter verliefen. Mechanische Adern; illegale Modifikationen, verbotene Spielzeuge.
Und sie hatten ihren Preis. Ja, den hatten sie wahrlich.
Rachels Augen waren erblindet, ihr Geschmackssinn auf ewig dahin. Nun, zumindest die Augen hatte sie ersetzen können.
Ersetzen. Und verbessern. 
Der Hauch eines Lächelns flackerte über ihr Gesicht, nur um einen Herzschlag später wieder zu verblassen. Rachel Diaz lächelte nur noch selten.
Denn schlimmer als die körperlichen Folgen waren die psychischen.
Die meisten griffen irgendwann zur Flasche, um zu vergessen, dass sie Tag um Tag ein wenig mehr Menschlichkeit verloren.
Sie hatte das auch getan, ganz am Anfang. Bis der Alkohol nicht mehr genug gewesen war. Bis er nicht mehr ausgereicht hatte, um die wiederkehrenden Sorgen und ständigen Schmerzen zu betäuben.
Es war einfach nicht genug gewesen.

Als der Abend schon dämmerte, streifte Rachel durch das verworrene Gassenlabyrinth der Stadt. Gassen, die genauso endlos waren, wie die Stadt selbst.
Zu dieser späten Stunde verirrten sich nur noch vereinzelte Sonnenstrahlen an den Hochhäusern vorbei bis in die Tiefe. Es war erstaunlich ruhig. So ruhig, dass sie dem leisen Summen der Elektrizität lauschen konnte.
Rachel musste die Kameras nicht sehen, um zu wissen, dass mindestens vier neugierige Linsen direkt auf sie gerichtet waren. Sie beobachteten jeden ihrer Schritte, jede kleinste Bewegung. Unzählige Augen, die nie müde wurden, nie blinzelten. Und nie ihren Blick abwandten.
Aber Rachel Diaz übersahen sie.
Sie konnte überall und nirgendwo zugleich sein.
Sie war ein Phantom, das nicht gefasst werden konnte. Ein Geist, der keinen Fußabdruck hinterließ. (Ganz, als existierte sie überhaupt nicht.)
Schritt Rachel durch die Straßen, dann folgte die endlose Stadt ihrem Kommando. Wo sie ging, öffneten sich verschlossene Türen. Und grelle Lichter erloschen.  
Wenn Rachel Diaz blinzelte, beugte sich die ganze Welt ihrem Willen. 

Sie wanderte durch die ausgestorbenen Flure eines Bürogebäudes. Schatten begleiteten sie und einzig von draußen sickerten bunte Lichter herein.
Niemand würde erfahren, dass sie je hier gewesen war.
Denn diese Nacht gehörte ihr. Ihr, Rachel Diaz.
(Einer Göttin der endlosen Stadt.)
Die Aufzugtüren öffneten sich geräuschlos. Die Fahrt bis ganz nach oben dauerte unendlich lange. Der Raum, den sie betrat, war beinahe vollkommen leer. Nur ein schwarzer Laptop ruhte auf einem dunklen Besprechungstisch.
Als sie danach griff, bemerkte nicht einmal Rachel selbst, dass ihre Finger bereits wieder zitterten wie Blätter im Wind.